Zum Inhalt springen
Startseite » Blog Beiträge » Wenn die Seele auf den Rücken drückt

Wenn die Seele auf den Rücken drückt

copyright:Petra Schreiber-Benoit

Das Wechselspiel von Wirbelsäulenerkrankungen und Psyche

Dass die Psyche Einfluss auf den Rücken haben kann, ist mittlerweile durch viele Untersuchungen belegt. So leiden Menschen mit depressiven Verstimmungen doppelt so häufig unter Rückenschmerzen wie seelisch stabile Menschen. Personen, die unter starkem beruflichem Stress stehen, leiden häufiger unter Rückenschmerzen als moderat gestresste Personen. Doch es gibt einiges, was Trainer und Betroffene zur Symptomlinderung tun können.

Petra Schreiber-Benoit_Standwaage am Strand
Petra Schreiber-Benoit_Balance auf einer Rolle

So multifaktoriell die Ursachen von Wirbelsäulenerkrankungen und Rückenschmerzen sind, so multidimensional sollten die therapeutischen Konzepte sein. Es genügt bei Weitem nicht, die Schmerzproblematik „Rücken“ nur aus orthopädischer Sicht zu betrachten.
Nach neurobiologischen Erkenntnissen ist die Trennung von Soma und Psyche in der Schmerzverarbeitung nicht mehr haltbar. Die Zusammenhänge zwischen psychischem Geschehen und Körperhal- tung beschreibt schon der Volksmund: „Krumm vor Kummer“, „Die Sorgen brechen ihm das Rückgrat“

oder „Sie trägt eine schwere Last auf dem Rücken mit sich herum“. Und trotzdem ist es immer noch eher die Ausnahme, Rückenschmerzpatienten ein ganzheitliches Therapiekonzept aus körperlich orientierter Medizin, psychosozialen Verfahren, Sporttherapie und Entspannungsmethoden anzubieten.

Um stabil zu heilen, sollten entsprechend dem bio-psycho-sozialen Modell eine holistische Betrachtungsweise und multimodale Therapien im Fokus jeder Behandlung stehen. Die aktive Mitarbeit und ein gewisses Maß an Eigenverantwortlichkeit seitens der Betroffenen, um „Experte“ der eigenen

Krankheit zu werden, erhöhen die Heilungschancen. Die Aufklärung darüber, dass das eigene Schmerzerleben und die seelische Verfassung die Heilung stark beeinflussen, minimiert das Gefühl, Opfer seiner Krankheit zu sein. Von immenser Wichtigkeit ist also ein zeitgemäßer holistischer Umgang mit der Schmerzsymptomatik Rücken.

Die natürliche, aufrechte Körperhaltung

Im komplexen Rückengeschehen hat die aufrechte Körperhaltung eine präventive und rehabilitative Bedeutung. Demgegenüber schädigt eine stark kyphotische Körperhaltung auf Dauer nicht nur unser Skelett, unser Muskelkorsett, unser Sehnen-, Band- und Fasziengewebe, sondern auch die inneren Organe und drückt gleichzeitig auf die Psyche. Eine Depression verstärkt aber wiederum die kyphotische Körperhaltung. Umgekehrt kann man sagen, dass eine harmonisch-aufrechte Körperhaltung vor vielen Krankheiten schützt. Dass die psychische Verfassung generell eine bedeutende Rolle spielt, wenn es darum geht, die äußere Haltung entspannt zu halten, steht außer Zweifel.

Die Haltung ist der Spiegel der Seele

Ein harmonisch-lordotischer Bogen zwischen der mittleren Brustwirbelsäule und dem Kreuzbein ist die Voraussetzung dafür, dass die Wirbelsäule ihre Tragfunktion optimal erfüllen kann. Eine leichte Lendenlordose – im Volksmund „Hohlkreuz“ genannt – ist natürlich und funktionell. Die natürliche, aufrechte Körperhaltung erreichen wir, indem wir das Becken sanft nach vorn kippen und den Brustkorb heben – so, als präsentierten wir eine um den Hals hängende Medaille. Gleichzeitig spannen wir das Kinn leicht in Richtung Kehlkopf. Der höchste Punkt am Hinterkopf wird dabei immer wieder nach oben ausgerichtet. Die Entlastung im Nacken wird sofort spürbar.

Haltung, Kraft, Kraftausdauer, Beweglichkeit und Koordination sind grundlegende Elemente in der Prävention und Rehabilitation. Der dynamische Aufbau eines harmonischen Muskelkorsetts und einer natürlichen, aufrechten Körperhaltung sind entscheidende Inhalte erfolgreicher Konzepte. Jede Übung sollte immer als eine ganzheitliche Übung von Kopf bis Fuß verstanden werden! Dabei entwickelt sich die Kraft aus der Körpermitte heraus und wird durch die Lenden-Becken-Stabilität gesichert. Diese ermöglicht dann die optimale Kraftübertragung vom unteren zum oberen Teil des Körpers. Von den Fußspitzen bis in die Fingerspitzen wird dynamisch in die Extension, die Streckung, die Aufrichtung „gearbeitet“. Gleichzeitig wird die Beweglichkeit in den Gelenken erweitert.

Die aufrechte Körperhaltung spielt nicht nur im Alltag, sondern gerade auch beim Trainieren und Durchführen von Übungen eine enorm wichtige Rolle, um eine Fehlbeanspruchung der Strukturen des Körpers zu vermeiden. Haltung ist nicht statisch, sondern ein ständiges Zusammenspiel zwischen dem Empfangen von Stellimpulsen (Propriozeption), Reflexen, Zug und Gegenzug sowie Anspannung und Entspannung bei gleichzeitiger Beeinflussung der psychischen Verfassung.

Die Muskulatur ist im übertragenen Sinne ein natürliches Korsett. Wenn die Muskeln ihre Aufgabe optimal erfüllen, können sie kraftvoll das Skelett halten und gleichzeitig reaktionsbereit spontan auf Veränderungen physischer und psychischer Art reagieren. Bauch-, Becken-, Rücken- sowie Arm- und Beinmuskulatur gewinnen mit entsprechenden Übungen an Kraft, Stabilität und Flexibilität. Wie selbstverständlich wird sich die äußere Haltung aufrichten. Dadurch verschwinden automatisch Defizite der Körpermechanik. Dies spiegelt sich schnell im Alltag wider. Man fühlt sich stabiler, aber auch flexibler, einfach aufgerichteter und fitter. Mit der Aufrichtung des Körpers erfährt auch die Psyche eine „Aufrichtung“, denn die Haltung beeinflusst die innere Stimmung. Viele Schmerzsymptome verschwinden wie von selbst. Auch wenn im Training z. B. schwerpunktmäßig die Bauchmuskulatur gestärkt wird, sollte man unbedingt die gesamte Körperhaltung des Klienten im Blick behalten.

Schmerzsignale des Körpers

Generell sollte man Schmerzsignale des Körpers früh ernst nehmen. Je früher und bewusster man diese Warnsignale wahrnimmt, desto eher kann man einen latenten Krankheitsverlauf umkehren. Auf der anderen Seite sollte man es nicht übertreiben. Untersuchungen haben gezeigt, dass Menschen, die regelmäßig Sport treiben, eine erhöhte Schmerzempfindung haben und nicht bei jedem kleinen „Ziehen“ gleich zum Arzt zu rennen. Bewertet man Schmerzen als positiven Hinweis seines Körpers und ist sich seiner Selbstheilungskräfte bewusst, kann man entsprechend agieren. Akzeptieren und Agieren ist der heilende Weg, nicht das Ankämpfen gegen die Schmerzen.

Die Seele und den Rücken baumeln lassen

Viele Menschen kommen heutzutage auch am Feierabend nicht mehr zur Ruhe: immer auf Hochtouren laufen, an tausend Dinge gleichzeitig denken, über Vergangenes grübeln oder vor dem Zukünftigen sich ängstigen. Unter Stress verspannt sich nachweislich die Rückenmuskulatur. Psychischer Stress aktiviert die Eigenmotilität der Faszien des großen Rückenmuskels, die dann verkleben. Rückenschmerzen sind die Folge. Eine effektive Übung, um die komplette oberflächliche rückwärtige Ganzkörperfaszie zu relaxen, ist das „Auspendeln“.

Entspannungstechniken wie Meditation, Körperscan, Autogenes Training und Progressive Muskelentspannung sind wissenschaftlich anerkannt und sehr wirksam – besonders bei chronischem Rückenschmerz. Wissenschaftliche Arbeiten belegen sogar, dass Meditation das Schmerzgedächtnis löschen kann; dies hilft tatsächlich bei chronischen Rückenschmerzen.

Petra Schreiber-Benoit_Entspannung am Strand
Meditation, Autogenes Training und Progressive Muskelentspannung sind eine Wohltat für Psyche und Körper

Lacht die Seele, lacht auch der Rücken

Lachen ist Therapie, aber viel wertvoller in der Prävention. Viele verlernen im Laufe des Lebens, wie ein Kind auch mal unbeschwert aus vollem Halse zu lachen; es ziere sich nicht oder sei kindisch. Wirklich? Lachen löst, befreit innerlich. Werden die Gesichtsmuskeln mehr als 60 Sekunden durch ein Lachgesicht aktiviert, werden nachweislich Endor- phine freigesetzt, die uns in ein „High-Gefühl“ versetzen. Sogar das Betrachten eines Lachgesichtes macht nachweislich gute Laune.

„Gesunde“ Gelassenheit kann lachen

Dauerstress, Leistungsdruck, Verbissenheit, Versagens- oder Existenzängste führen innerlich zu Dauerspannungen. Umso wichtiger ist es zu erkennen, dass es gerade in solchen Extremsituationen enorm wichtig ist, regelmäßig „Seelen-Hygiene“ zu betreiben. So, wie man täglich seine Bauchmuskeln trainiert, so sollte man auch seine Psyche mit entsprechenden Entspannungstechniken stärken, um die eigene Resilienz dauerhaft zu erhöhen. Fast wie automatisch erfährt man eine „gesunde“ Gelassenheit gerade im Stressgeschehen. Die Leichtigkeit des Seins wieder fühlen und auch wieder lachen zu können, das kommt der Heilung näher.

Rückenentspannt schlafen

Wenn abends die Last des eigenen Körpergewichts in die Horizontale gebracht wird, laufen über Nacht viele Regenerationsmechanismen im Körper ab. Körper, Geist und Seele und ganz besonders die Bandscheiben erholen sich nachts. Der Rücken braucht ausreichend und ausgleichend guten Schlaf, optimalerweise sechs bis acht Stunden. Eine natürliche Matratze und ein Nackenkissen unterstützen diesen Prozess. Um wirklich relaxt schlafen zu können, ist die „Seelen-Hygiene“ auch hier enorm wichtig.

Sitzen ist schlimmer als Rauchen

Beobachtungen und Erfahrungen zeigen: Sitzen ist schlimmer als Rauchen! Viele Menschen verbringen regelmäßig mehr als acht Stunden am Schreibtisch. Zu Hause kommen am Esstisch oder vor dem Fernseher nochmals zahlreiche Stunden dazu. Um wirkungsvoll ausgleichend agieren zu können, sollte man so oft wie nur möglich aufstehen. Aktives Sitzen auf unterschiedlichen Sitzgelegenheiten unterstützt das aufrechte Sitzen.

Tipp:

Häufiger am Stehpult arbeiten und jeden Tag freudvolle Bewegungssequenzen einplanen – vom entspannten Spaziergang bis zum Training im Fitnessstudio.

Sauer ist nicht lustig

Eine Übersäuerung kann auch Rückenschmerzen begünstigen. Und dabei spielt Zucker in unserer Nahrung eine wichtige Rolle. Zucker ist das süßeste und gleichzeitig eines der gefährlichsten „Gifte“ unseres Jahrhunderts. Der hohe Zuckerkonsum in den Industriestaaten übersäuert unser Körpergewebe und führt zu Schmerzen. Verletzungen und Krankheiten sind vorprogrammiert.

Tipp:

So naturbelassen, pflanzenbasiert und ballaststoffreich und so wenig industriell verarbeitete Lebensmittel wie möglich zu sich nehmen. Zusatz- und Konservierungsstoffe meiden. Lesen Sie die Zutatenliste auf der Verpackung Ihrer Nahrungsmittel; je kürzer sie ist, umso besser. Eine Detox-Kur kann von Umweltgiften befreien und auch Rückenschmerzen lindern.

Fazit

Die Psyche spielt eine große Rolle bei Rückenproblemen. Nicht selten leiden psychisch Erkrankte, dauergestresste Personen oder Menschen in belas- tenden Lebenssituationen auch unter Schmerzen der Wirbelsäule. Doch schon das Wissen darum, wie stark das eigene Erleben und die seelische Verfassung das Rückenproblem beeinflussen, kann die Betroffenen davor bewahren, dauerhaft zu leiden. Trainer und Therapeuten können motivieren, aufklären und Unterstützung zur Selbstheilung geben. Der wichtigste Therapeut ist aber letzten Endes der Patient selbst.